Psychother Psychosom Med Psychol 2009; 59(2): 57-67
DOI: 10.1055/s-2008-1067353
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trauer, Bewältigung und subjektive Ursachenzuschreibungen nach Frühaborten: Adaptivität von Verarbeitungsmustern untersucht in einer Längsschnittstudie

Mourning, Coping and Subjective Attribution After Early MiscarriageAnnekathrin  Bergner1 , Reinhard  Beyer2 , Burghard  F.  Klapp1 , Martina  Rauchfuß1
  • 1Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • 2Institut für Psychologie, Humboldt-Universität Berlin
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Publication History

eingereicht 17.10.2007

akzeptiert 19.2.2008

Publication Date:
22 April 2008 (online)

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Zusammenfassung

232 Frauen nach einem Frühabort wurden über standardisierte Fragebögen und Symptomlisten wenige Wochen nach der Fehlgeburt zu Bewältigungsstrategien, Trauerprozessen und subjektiven Ursachenzuschreibungen sowie anamnestischen und psychosozialen Merkmalen befragt. In weiteren Befragungen 7 und 14 Monate nach dem Schwangerschaftsverlust und ggf. im ersten Trimenon einer nachfolgenden Schwangerschaft wurde die psychische Symptomatik der Frauen (Angst- und depressive Symptomatik) erfasst. Über die Methode einer Hauptkomponentenanalyse ließen sich wenige Wochen nach der Fehlgeburt drei Verarbeitungsmuster bestimmen. Das Muster einer depressiven Verarbeitung erweist sich als Prädiktor einer erhöhten Depressivität der Frauen 7 Monate nach der Fehlgeburt und in einer neuen Schwangerschaft. Eine depressive Symptomatik in der neuen Schwangerschaft lässt sich auch über das Muster einer ängstlichen Trauer der Frauen nach der Fehlgeburt vorhersagen. Andererseits geht das Muster einer aktiven Auseinandersetzung mit der Fehlgeburt mit geringeren Zustandsängsten in der neuen Schwangerschaft einher. Erleben mangelnder Unterstützung durch den Partner und zurückliegende Ehescheidungen oder Trennungen erweisen sich als Risikofaktoren für erhöhte Ängste in einer neuen Schwangerschaft. Die Ergebnisse verweisen auf die Notwendigkeit der Prävention psychischer Befindensstörungen durch eine integrierte psychosomatische Versorgung besonders bei Frauen, die nach Frühaborten aufgrund maladaptiver Verarbeitungsmuster und psychosozialer Merkmale ein erhöhtes Risiko für eine schlechte Anpassung an den Verlust tragen.

Abstract

A few weeks after miscarriage 232 women were questioned with standardized questionnaires and symptom scales about the way in which they coped with an early miscarriage (up to the 16th week of gestation) about mourning processes and subjective attribution as well as anamnestic and psychosocial characteristics. Seven and fourteen months after pregnancy loss and if necessary in the first trimester of a following pregnancy the psychological symptoms of the women (fear and depressive symptoms) were evaluated. A few weeks after miscarriage we found with main component analysis three patterns of coping. The pattern of „depressive coping” could be diagnosed as a predictor of increased depression seven months after the miscarriage and in a new pregnancy. Depressive pathology in a new pregnancy of the women with early pregnancy loss can be predicted also over the pattern of „anxious grieving”. On the other hand, the pattern of „active coping” is associated with lower state anxiety in a new pregnancy. Lack of perceived partner support and past divorces or separations are risk factors for increased fears in a new pregnancy. These results suggest that women who have had an early miscarriage especially if they have maladaptive coping patterns and psychosocial risk factor for maladjustment need prevention of psychological disturbances with an integrated psychosomatic concept.

Literatur

1 Angestrebt wurde eine möglichst zeitnahe Erstbefragung der Frauen nach dem Frühabort. Unser Anliegen, alle in den Kliniken nach Frühabort behandelten Frauen um ihre Teilnahme an der Studie zu bitten (keine Vorauswahl, um Aussagen über die Repräsentativität der Stichprobe treffen zu können), erforderte jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen folgendes, etwas zeitaufwendigeres Vorgehen: Wir erhielten von den gynäkologischen Abteilungen der kooperierenden Krankenhäuser Namen und Anschrift aller Frauen, die sich aufgrund einer Fehlgeburt in den letzten Tagen/Wochen in stationärer Behandlung befanden. Die Frauen wurden einmalig von uns angeschrieben, ihre Anschrift verblieb aber in den Kliniken. Erst auf dem Rückschreiben der Frauen, welches zuvor mit einer Code-Nummer versehen worden war, erhielten wir Namen, Anschrift und Telefonnummer der Teilnehmerinnen. Die Archivdaten (anamnestische Daten als Kontrollvariablen) der Teilnehmerinnen und Nichtteilnehmerinnen wurden anonymisiert unter den Code-Nummern vermerkt. Da einige Teilnehmerinnen unsere Anfrage erst nach mehreren Wochen beantworteten, konnten sie z. T. erst drei oder vier Monate nach dem Abort erstmalig befragt werden. Aus der Literatur und klinischen Erfahrungen ist jedoch bekannt, dass gesunde Trauerprozesse nach frühen Schwangerschaftsverlusten durch einen Abfall der Trauer nach ca. 3 Monaten gekennzeichnet sind. Damit der zeitliche Verlauf des Trauerprozesses nicht durch die Heterogenität der Stichprobe überdeckt wird, wurden in die vorliegenden Analysen nur Daten derjenigen Frauen einbezogen, deren Fehlgeburt zum Zeitpunkt der Erstbefragung maximal 14 Wochen zurücklag.

PD Dr. Martina Rauchfuß

Charité – Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik und Psychotherapie

Luisenstraße 13 a

10117 Berlin

Email: martina.rauchfuss@charite.de